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Berufsorientierung als Grundstein für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben

Schüler*innen, die sich für einen Beruf entscheiden wollen, stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Sie haben nicht nur die Wahl zwischen mehr als 300 Ausbildungsberufen, sondern müssen bei ihrer Wahl auch berücksichtigen, dass sich die Arbeitswelt in einem fortwährenden Umbruch befindet. Hinzu kommen regionale Besonderheiten und Chancen. Die größte Herausforderung besteht für Schüler*innen allerdings darin, herauszufinden, welche Interessen sie haben, wo ihre Kompetenzen liegen und inwieweit Interessen und Potenziale mit den Anforderungen der beruflichen Praxis und den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes zusammenpassen. Für Schüler*innen mit Behinderungen  sind diese Herausforderungen besonders schwer zu meistern. Die Entscheidung für einen Beruf ist umso erfolgreicher, je besser und langfristiger sie vorbereitet wird. Diesen Gedanken folgend müssen unterstützende Maßnahmen der Berufsorientierung Wissen über die Arbeitswelt vermitteln und gleichzeitig die Möglichkeiten eröffnen, eigene Erfahrungen zu machen und Rückmeldungen zu bekommen.

Bereits seit dem Schuljahr 2006/2007 wird im Land Sachsen-Anhalt das Landesberufs-orientierungsprogramm BRAFO -Berufsorientierung Richtig Angehen Frühzeitig Orientieren für Schüler*innen der Sekundar-, Gemeinschafts- und Gesamtschulen sowie der Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen, emotional-soziale Entwicklung, Sprache, geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören und Sehen erfolgreich umgesetzt. Im Jahr 2018 hat der Landtag von Sachsen-Anhalt die Landesregierung aufgefordert, das Landesprogramm fortzuschreiben, bereits vorhandene berufsorientierende Angebote miteinander zu verknüpfen und die Finanzierung von BRAFO langfristig zu sichern. Gemeinsam mit der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit und dem Ministerium für Bildung hat das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung ein „Konzept zur systematischen Berufsorientierung in Sachsen-Anhalt“ erstellt, welches ab dem Jahr 2022 auch das Berufsorientierungs-programm des BMBF beinhaltet und damit ein einheitliches System der Berufsorientierung von Land und Bund darstellt. Im Zuge der Fortschreibung des Programms wurde zudem das bisherige Landesmodellprojekt „Unterstützung des Übergangs geistig behinderter Schülerinnen und Schüler und weiterer schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler von der Schule in Arbeit und Beruf in Sachsen-Anhalt (ÜFB)“ für Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten körperlich-motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Hören und Sehen sowie dem Vorliegen einer anerkannten Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung gem. § 151 Abs. 4 SGB IX in das Förderkonzept BRAFO integriert. Damit bekommen Schüler*innen und Schüler mit und ohne Behinderung eine umfassende und systematische berufliche Orientierung. Bereits vorhandene Berufsorientierungsangebote sind im „neuen“ BRAFO miteinander verknüpft, um ein sinnvolles, gut abgestimmtes und inklusives Gesamtpaket zur Berufsorientierung zu bilden. Die gewonnenen Synergien sollen die individuelle Entwicklung und Förderung der Berufswahlkompetenz der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I in Sekundar-, Gesamt-, Gemeinschafts- und Förderschulen in Sachsen-Anhalt ganzheitlich stärken. 
Das neu konzipierte Landesberufsorientierungsprogramm BRAFO wird anteilig aus Mitteln der Europäischen Union des Landes Sachsen-Anhalt, aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit, des Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (für die vertiefte berufliche Orientierung für Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen)

Inhaltliche Basis von BRAFO sind fünf Strukturelemente in den Schuljahrgängen 7, 8 und 9 bzw. 10-12 für Förderschulen geistige Entwicklung, die aufeinander aufbauen und die Ergebnisse der jeweils vorangegangenen Strukturelemente berücksichtigen und aufgreifen. Die Strukturelemente bilden sich über die Interessen- und Kompetenzerkundung (Strukturelement I), die Werkstatttage und Betriebserkundung (Strukturelement II), zwei  Schülerbetriebspraktika (Strukturelement III und V) und die Kompetenzfeststellung mit Selbsterkundungstool (Strukturelement IV) ab.

Strukturelement I: Interessen- und Kompetenzerkundung 

Das erste der fünf Strukturelemente ist die Interessen- und Kompetenzerkundung. Sie findet im zweiten Halbjahr des 7. Schuljahrganges während der Schulzeit statt. Es dient der Einführung in den Prozess der Berufswahl und ist die erste Stufe der Vermittlung von Berufswahlkompetenz. Ziel ist es, einen Überblick über die vielfältigen Facetten der Berufswelt in Form von Lebenswelten und Tätigkeitsfeldern zu geben und die Basis für eine erste Analyse der eigenen Vorlieben und Interessen bei den Schüler*innen zu schaffen. Die Tätigkeitsschwerpunkte der Arbeits- und Berufswelt wurden mit Blick auf das System der Berufsorientierung zu zwölf Tätigkeitsfeldern verdichtet. Diese Tätigkeitsfelder bilden die Orientierungsgrundlage für Schüler*innen. Jedes Tätigkeitsfeld umfasst jeweils eine Gruppe ähnlich gearteter Tätigkeits- und Arbeitsinhalte. Eine konkrete Orientierung auf einzelne Berufe steht nicht im Mittelpunkt. Durch diesen Einstieg über die Tätigkeitsfelder statt über konkrete Berufsbilder soll es gelingen, die möglichen beruflichen Bezüge länger offen zu halten und Interesse auch an Tätigkeiten zu wecken, die zunächst für die Jugendlichen noch nicht von Interesse waren. Die Interessen- und Kompetenzerkundung findet an sechs Tagen statt. Am ersten Tag werden die Jugendlichen in den Lebenswelt- und Tätigkeitsansatz eingeführt und bearbeiten danach an vier Tagen konkrete berufliche Aufgaben, wobei sie von erfahrenen Pädagoginnen und Pädagogen angeleitet und gleichzeitig beobachtet werden. Der sechste Tag dient der Durchführung eines PC-gestützten Testverfahrens zur Ermittlung von lebenswelt- und tätigkeitsbezogenen beruflichen Interessen und Kompetenzen. Die Ergebnisse der Selbsttests und die Beobachtungsergebnisse werden mittels webgestütztem Tool erfasst und ausgewertet. Dieser Test ist auch für Schüler*innen mit geistiger Behinderung abrufbar. Alle Schüler*innen und auch die Eltern erhalten eine rechnerbasierte und von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen untersetze und erläuterte Auswertung. Die Auswertungsdokumente werden im Berufswahlpass abgelegt. Der Berufswahlpass dient in BRAFO als verbindendes Element zwischen den Strukturelementen und wird über die gesamte Laufzeit des Programms fortgeschrieben. 

Strukturelement II: Betriebserkundung/ Werkstatttage

Das Strukturelement II findet in der Schulzeit im 1. Halbjahr des 8. Schuljahrgangs statt. 
Die Betriebserkundung ist ein Angebot für einen Teil der Schüler*innen, die schon soweit beruflich orientiert sind, um ihre Interessen und Neigungen unter realen Bedingungen praktisch zu erproben. Die Erkundung wird an fünf Tagen im Unternehmen durchgeführt. Dem Anspruch einer Betriebserkundung folgend finden bei der Umsetzung Qualitätskriterien wie Zielorientierung, Bearbeitung konkreter Fragestellungen und reflektierender Erkenntnisgewinn Beachtung. Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung erfolgen durch den Bildungsträger in engem Zusammenwirken mit Unternehmen und den Schulen.
Alternativ zur Betriebserkundung wird für einen Großteil der Schüler*innen die Möglichkeit die Teilnahme an fünf „Werkstatttagen“ angeboten. Hierbei sind durch den Bildungsträger Berufsfelder vorzuhalten, aus denen Schüler*innen auswählen können. Durch die Berufsfelder soll ein realistischer Einblick in den Ausbildungsalltag vermittelt werden. Ziel ist es, die im Strukturelement I gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu eigenen beruflichen Interessen, Vorlieben und Voraussetzungen unter konkreten beruflichen Bedingungen zu vertiefen.

Strukturelement III: Erstes Betriebspraktikum

Das erste Betriebspraktikum wird vom regulären, pflichtgemäß im 2. Schulhalbjahr der 8. Schuljahrgangs stattfindenden Schülerbetriebspraktikum ausgefüllt. Dabei werden die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Strukturelemente gesammelt, aufgegriffen und auf ein höheres Niveau geführt. Im Unterschied zu den vorangegangenen Strukturelementen erfolgt die Vorbereitung, Begleitung und Auswertung nicht durch Bildungsträger, sondern durch die beauftragten Lehrkräfte der Schulen.  Auch hier münden alle Ergebnisse in den Berufswahlpass ein.

Strukturelement IV: Kompetenzfeststellung

Die Ermittlung berufsbezogener Kompetenzen ist aus dem Übergangsmanagement Schule-Beruf nicht mehr wegzudenken. Sie unterstützt Schüler*innen dabei, ihre Ressourcen und ihre beruflichen Potenziale besser zu erkennen und richtig einzuschätzen. Die Kompetenzfeststellung ist bildungs- und arbeitsmarktpolitisch das zentrale Element einer Strategie der Individualisierung der Berufswegeplanung. Ermöglicht es doch neben Verfahren zur Feststellung berufsbezogener Kompetenzen auch informell und non-formal erworbene Fertigkeiten und Fähigkeiten Wert zu schätzen und für einen künftigen Bildungsprozess zu nutzen. 
Die Kompetenzfeststellung wird verbindlich für alle Schüler*innen im ersten Halbjahr des  9. Schuljahrganges umgesetzt. Die Umsetzung erfolgt an einem Tag mit Unterstützung der Bildungsträger. Für die Kompetenzfeststellung wird das bereitgestellte webgestützte Selbsterkundungstool Check-U der Bundesagentur für Arbeit genutzt. Bei Check-U handelt es sich um ein Verfahren, bei dem Schüler*innen sehr differenzierte Tests durchlaufen. Als Ergebnis erhalten sie ein Kompetenzprofil, welches ihnen ermöglicht, wesentlich klarer ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und Bezüge zur Anwendung dieser Kompetenzen in konkreten Berufen herzustellen. Sie bekommen Vorschläge über für sie geeignete Ausbildungs- und Studienberufe. Die Auswertung der Kompetenzfeststellung erfolgt durch erfahrene und entsprechend geschulte Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Die Schüler*innen erhalten eine rechnerbasierte und von Sozialpädagoginnen und -pädagogen untersetzte bzw. erläuterte stärkenorientierte Auswertung zu ihren persönlichen Interessen und Kompetenzen, die auch Ergebnisse der einzelnen Tests enthält. Die Schüler*innen erreichen anhand ihres persönlichen Profils ein realistisches Wissen über sich selbst, wobei der Schwerpunkt auf ihren Potenzialen liegt. Die Berufswahlkompetenz wird gestärkt und Fehlentscheidungen bei der Berufswahl minimiert. Aufbauend auf den Ergebnissen der Kompetenzfeststellung kann der weitere Beratungsprozess durch die Berufsberatungen der Agenturen für Arbeit gestaltet werden.
Für Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen setzt hier der individuelle Unterstützungsprozess mit der eigenen Kompetenzfeststellung der Schulen in Zusammenarbeit mit den Integrationsfachdiensten ein. Der Unterstützungsprozess wird von den Integrationsfachdiensten gesteuert und durchgeführt und beginnt mit den abgestimmten Kompetenzfeststellungsbögen. Entsprechend der individuellen Auswertung werden geeignete Schüler*innen identifiziert, die im nächsten Strukturelement eine individuelle, vertiefte berufliche Orientierung bekommen können.

Zweites Betriebspraktikum-Strukturelement V

Das zweite Betriebspraktikum basiert auf dem bereits absolvierten Schülerbetriebspraktikum, welches im zweiten Halbjahr des 9. Schuljahrganges durchgeführt wird.
Die Vorbereitung, Begleitung und Auswertung übernehmen Lehrkräfte der Schulen.
Für die Vorbereitung werden die individuellen Ergebnisse aller bis dahin durchlaufenen Projektbestandteile herangezogen, wobei der Schwerpunkt bei der Sicherung der Anschlussfähigkeit an die Kompetenzfeststellung liegt.
Die Schüler*innen erproben im zweiten Betriebspraktikum ihre spezifischen Stärken unter betrieblichen Bedingungen und vervollständigen dadurch ihr Bild von den eigenen Interessen und Fähigkeiten. Die Planung erfordert eine individuelle Auswertung des bis dahin durchlaufenen Prozesses der Entwicklung von Berufswahlkompetenz durch die mitwirkenden Lehrkräfte. Die Schüler*innen erhalten in der Auswertung Hinweise, auf welchen Gebieten des schulischen Wissenserwerbs sie verstärkte Bemühungen unternehmen müssen, um ihre Vorstellung von einer beruflichen Laufbahn verwirklichen zu können. 
Das zweite Betriebspraktikum bildet den Abschluss der Berufsorientierung und den Übergang zur Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit, in deren Verlauf die Vorstellungen auf konkrete Berufe übertragen werden sollen. 

Für Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen setzt im Strukturelement V ein individueller Unterstützungsprozess der Integrationsfachdienste ein, der auf der Kompetenzfeststellung aufbaut und die im Berufswahlpass eingetragenen Erkenntnisse der bisher durchlaufenen Strukturelemente berücksichtigt. 
Die Integrationsfachdienste suchen für jede Schüler*in verschiedene Praktikumsplätze je nach individuellen Wünschen und Kompetenzen. Zunächst können sie sich in Orientierungspraktika über 1-2 Wochen an verschiedenen Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Berufen testen. Bei erfolgreichen Orientierungspraktika schließen sich Erprobungspraktika über einen Zeitraum von 2-4 Wochen an. Auswertungen erfolgen nach jedem Praktikum durch den IFD gemeinsam mit der Schüler*in und dem Praktikumsbetrieb. Im optimalen Fall schließen sich Belastungspraktika mit dem Ziel an, entweder eine betriebliche Ausbildung zu beginnen oder den direkten Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen. 
Am Ende des beruflichen Orientierungsprozesses steht eine Berufswegekonferenz, in der der berufliche Werdegang mit der Schüler*in sowie allen Verantwortlichen verbindlich abgestimmt wird.

Durch die systematische Verbindung aller Strukturelemente, der Verstetigung vertiefter individuellen Berufsorientierung für Schüler*innen mit speziellen Förderbedarfen in BRAFO, der Einbeziehung des Berufswahl-SIEGEL´s als Instrument der qualitativen Entwicklung schulischer Berufsorientierungskonzepte und der Etablierung eines auf wissenschaftlichen Grundlagen basierenden Kompetenzfeststellungsverfahrens ist es gelungen, dass in Sachsen-Anhalt ein umfassendes, niedrigschwelliges, inklusives und durchgängiges Angebot beruflicher Orientierungsmaßnahmen flächendeckend vorgehalten werden kann. 

Flankiert wird das Landesprogramm BRAFO für junge Menschen mit Behinderung durch das Landesprogramm zur Ausbildungsförderung, das Arbeitgebende unterstützt, die jungen Menschen mit Behinderung eine Ausbildung ermöglichen.